Blog

Grafenegg Academy 2022

Teil 2: Inspiration & Austausch
Håkan Hardenberger und Colin Currie

Veröffentlicht: 07/06/2022

Den Höhepunkt der Grafenegg Academy formen die zwei Konzerttage. Colin Currie – Kurator und Perkussionist – gibt einen ganz persönlichen Einblick in beide Tage. Hier lesen Sie Interessantes zum zweiten Konzert. 

Die Grafenegg Academy gipfelt in zwei Konzerttagen. Beim «Fest der Instrumente» tritt das Grafenegg Academy Orchestra zum ersten Mal auf die Bühne. Unter dem Leitmotiv «Perpetuum Mobile» erklingen dann am zweiten Konzerttag am 24. Juli Werke von bedeutenden Komponist:innen wie Joseph Haydn und Johann Strauss bis hin zu Helen Grime und Igor Strawinski. Colin Currie, einer der beiden Kuratoren, gibt hier am Blog auch in den zweiten Konzerttag einen ganz persönlichen Einblick. 

Zum Beitrag des ersten Konzerttages geht es hier:

Beginnen wir diesmal chronologisch, mit dem Prélude. Was macht das Programm aus?

Es ist nicht leicht vorstellbar, dass ich nach Grafenegg komme, ohne ein Stück von Steve Reich auf die Bühne zu bringen. Sein Schaffen hat die Entwicklung der neuen Musik nachhaltig mitbestimmt und sein Einfluss ist fast überall spürbar, wo man Musik hört. Ich für meinen Teil bin sein treuer Abgesandter. Ich habe 2006 ein Ensemble gegründet, das sich ausschließlich seiner Musik widmet, und habe Steve bisher zwei Werke für mich schreiben lassen. Seine Weiterentwicklung und Aufwertung der Kammermusik für Schlagzeug ist gut dokumentiert und in einer Vielzahl von Meisterwerken zu bewundern. In diesem Sinne habe ich mich entschieden, sein «Mallet Quartett» hier in Grafenegg aufzuführen.

Wie ist «Mallet Quartett» aufgebaut?

In drei Sätzen – einer für den Komponisten typischen Form – nehmen drei zusammenhängende und doch unterschiedliche musikalische Szenarien ihren Lauf. Der erste Satz ist für mich eher symphonisch, sogar opulent, mit zwei Marimbas, die den harmonischen Hintergrund für die Vibraphone bilden, die vorne im Ensemble im Kanon «dahinjammen». Der langsame Satz ist tänzerisch und bezaubernd und zieht den Zuhörer hinein in die tiefere Dynamik und die tiefen Register der Instrumente. Der dritte Satz ist etwas wehmütiger, doch es gibt Raum für mehr Schwung, mehr Licht. Der Schluss lässt einen hingerissen und in Hochstimmung zurück – ein letztes Satzzeichen eines grandiosen Stücks musikalisch-melodischer Maschinerie.

Was wird im Schlosshof sonst noch zu hören sein?

«Kimmo» von Anders Eliasson hat einen besonders lieb und teuer gewordenen Platz in Håkans Repertoire. Es steht seit vielen Jahren auf unserer Wunschliste und hier in Grafenegg haben wir nun endlich die Möglichkeit, es auf die Beine zu stellen. Tanzend, geschäftig, dreist legt das Stück in zügigem Tempo los, wobei das Ensemble durch eine flotte und schräge Hi-Hat zusammengehalten wird. Aus der Trompete rasseln jazzige Licks und das Schlagzeugorchester wartet im Hintergrund mit einer immensen Vielfalt an Farben und Assoziationen auf – all das erinnert an Gamelan und seine betörenden Gongs und Metallophone, die hier alle zu hören sind. Der zentrale Satz bietet einige der besten Solo-Trompetenstücke der gesamten Musikliteratur. Ein Satz voller Trauer, Kummer und Erinnerung, wonach der dritte Satz uns wieder in Gang bringt und auf einen belebenden Abschluss vorbereitet. Wahrlich ein Meisterwerk dieser Kombination – Trompete und Schlagzeug, ganz wie Håkan und ich es lieben!

Håkan Hardenberger
Håkan Hardenberger © Marco Borggreve

Mit imposanten Werken geht es dann auch im Konzert des Abends weiter. Um 20.00 Uhr tritt das Grafenegg Academy Orchestra am 24. Juli zum zweiten Mal auf die Bühne – diesmal am Wolkenturm. Mit im Gepäck: Musikstücke aus unterschiedlichen Stilepochen – sehr humorvolle zum Teil.

Warum habt ihr euch genau für diese Komponist:innen für das Konzert «Perpetuum Mobile» entschieden?

Håkan und ich waren uns schon früh einig, dass unser Grafenegg-Programm unbedingt eine Haydn-Sinfonie enthalten sollte. Die Feinsinnigkeit, der Witz, der Charme und die Schönheit dieser Musik gehen über die Epoche ihrer Entstehung hinaus und lösen sich vielleicht sogar von ihr, und die erstaunlich zeitlose Qualität dieser Musik macht ihren Reiz für die heutige Zeit aus. In Grafenegg entspricht die Präsentation österreichischer Musik zwangsläufig und ganz wesentlich unserem Ethos, und in diesem Bereich gibt es niemanden, den Håkan und ich mehr schätzen als den wunderbaren, wundersamen «Nali» Gruber. Håkan brachte 1999 das Trompetenkonzert «Aerial» zur Uraufführung, das zu einem erstaunlichen Kernstück seines Repertoires wurde, und in einem gewissen Sinn wurden damals bereits Verbindungen geknüpft, da ich bei dieser Aufführung in der Royal Albert Hall hinten im Publikum saß und den neu geformten Zauber in mich aufsog. Über die Jahre habe ich meine eigene Beziehung zu Gruber aufgebaut, indem ich mit ihm an dem Konzert «Rough Music» arbeitete. 2015 habe ich dann sein zweites Schlagzeugkonzert «into the open…» bei den BBC Proms selbst uraufgeführt. Es gibt also für uns nichts Selbstverständlicheres, als in Österreich zu sein und mit dem Orchester der Academy Grafenegg Gruber aufzuführen.

Colin Currie
Colin Currie © Linda Nylind

Wie reihen sich hier Johann Strauss und Igor Strawinski in das Programm ein?

Johann Strauss ist die perfekte Einstimmung auf HKs «Charivari» – aber täuschen wir uns nicht, denn bei Gruber wird jeder Anflug von Frivolität rasch durch Musik von beißendem Sarkasmus, Dringlichkeit und etwas, das tatsächlich eine düstere und doch lebhafte musikalische Aussage trifft, vertrieben. Auch die rhythmischen Mittel sind typisch für Gruber – oft überlagern sich mehrere Tempi und instrumentale Paarungen bilden sich quer durch das Orchester. Eine wilde Fahrt, und eine dringende. Weitere Warnungen formuliert Strawinski in seiner «Symphonie in drei Sätzen», die untrennbar mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist. Dieses Werk ist zweifellos ein Kandidat für das am fantastischsten synkopierte Stück aller Zeiten. Es enthält Material, aus dem ein Klavierkonzert hätte werden können, und das Klavier, wie auch die Harfe, spielen hier zentrale Rollen. Die explosive Kraft des Werks ist etwas, was wir unbedingt entfesseln wollen – die schiere Aufregung und schließlich der fabelhafte Schluss, dessen Pracht allen Filmkomponist:innen seither als Vorbild gedient hat.

Ein Augenmerk liegt auch auf Musik der Gegenwart. Was wird das Publikum zu hören bekommen?

Um unseren Fokus auf Helen Grime zu vertiefen, deren effektvolles Konzert für Schlagwerk ich am 17. Juli in Grafenegg aufführe, präsentieren wir auch die Österreich-Premiere ihres unheimlichen und nervenzerreißenden «Near Midnight». Eine wunderbar detailreiche Partitur, in der jeder Teil des Orchesters zur Geltung kommt (von den wummernden Bässen bis zu den wirbelnden Holzbläsern), und doch ist die Auflösung in der Tat mehrdeutig. Inspiriert von der Ungewissheit und der latenten Bedrohlichkeit der Zeit «vor Mitternacht» vermittelt das Werk Angst wie auch Hoffnung – geheimnisumwittert auf der ganzen Linie. Was mich an ihrer Musik fasziniert, ist die absolut ergreifende, klagende melodische Sprache, die doch umgeben ist von viel Dissonanz und häufigen Disharmonien in den Kadenzen. Es ist eine schockierende und wundersame Musik, ein symphonisches Werk von großer Erhabenheit und Zerbrechlichkeit, Zärtlichkeit und Spannung.

«Wir freuen uns sehr darauf, unsere internationalen Teilnehmer:innen bei diesem Kurs willkommen zu heißen. Wir können uns von diesem Repertoire inspirieren und motivieren lassen und die Gemeinschaft der Grafenegg Academy weiterentwickeln.»
Colin Currie und Håkan Hardenberger