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Mit Volldampf ins Abenteuer

Das erste Konzert der Jahreszeitenklänge 25/26
Fabien Gabel

Veröffentlicht: 12/09/2025

Einige Tage nach den finalen Akkorden des Grafenegg Festival verabschiedet sich im September die Freiluftbühne nach einem Sommer voller Musik in die verdiente Jahreszeitenpause. Die von den Laubriesen niedersinkenden rot-goldenen Blätter tauchen Grafenegg dann in eine schillernde Herbstwunderwelt. Und wenn Anfang Oktober die auffrischenden Winde auch die letzten Töne aus den Baumkronen geweht haben, spielt im Auditorium wieder die Musik: Die «Jahreszeitenklänge» gehen in die neue Saison. Es ist die erste von Fabien Gabel, der mit der Sommernachtsgala 2025 seine Position als Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich antrat. Alle drei Kompositionen dieses besonderen Eröffnungskonzerts erzählen auf unterschiedliche Weise auch etwas über den neuen Mann an der Spitze von Grafeneggs Residenzorchester. Gleichzeitig und vor allem ist es aber einfach große Musik des späten 19., des späten 20. und des frühen 21. Jahrhunderts, mit denen die neue Spielzeit eröffnet – mit einem Bekenntnis zur Verbindung aus Tradition und Moderne.

«Ich schaue gern nach vorn, mit Neugier und Begeisterung.»
Fabien Gabel

Was für ein Anfang! Denn die Jahreszeitenklänge beginnen nicht etwa mit einer Ouvertüre, sondern mit einer Zugabe, einem Gustostückerl, einer musikalischen Nachspeise, die es in sich hat. Doch sind es weniger Kalorien, sondern vor allem schiere Muskelkraft gepaart mit viel Bewegung und Raffinesse, die Bernd Richard Deutschs kurzes Encore «Con moto» ausmachen. Die Geschichte des Stückes führt in eine nordfränkische Metropole an der Mündung der Regnitz und des Main: «So kommt der Mensch nach Bamberg und weiß nicht wieso», könnte man hier einwenden. Denn der Auftrag für «Con moto» kam von den Bamberger Symphonikern, dem Orchester der bewussten bayrischen Stadt. Freunde des Wiener Satirikers Daniel Spitzer mögen sich an seinen Essay «Ein Tag aus der Bayreuther Schreckenszeit 1876» erinnern. Damals war der auf Wagners Musik neugierige Schriftsteller zu den Eröffnungsfeierlichkeiten des Festspielhauses nach Bayreuth gepilgert. Allerding geriet er ob des absurden Kults um Wagner und auch wegen der Musik, die er partout nicht verstand, in eine solche Panik, dass er nach einem Akt «Siegfried» zum Bahnhof floh und auf die Frage: «Wohin geht der nächste Zug?», die Antwort «nach Bamberg» erhielt, worauf die Erzählung mit den oben schon zitierten Worten endet: «So kommt der Mensch nach Bamberg und weiß nicht wieso.» 

 

Verzeihen Sie diesen kurzen Ausflug in eine längst verblichene Zeit. Zurück zur Gegenwart, zu Bernd Richard Deutsch: Der wusste nämlich genau, wieso und auf welchem Weg er nach Bamberg kam, durch den bereits erwähnten Auftrag des famosen Orchesters. Und er schrieb eine für die Musiker:innen enorm fordernde Zugabe, die in etwa sechs Minuten alle Instrumente glanzvoll herausstellt. Doch er setzte sich dazu auch eine bestimmte Aufgabe: Deutsch verwandelte für sein virtuoses Stück den Städtenamen «Bamberg» selbst in Musik. Wie das gehen soll? Eigentlich einfach: Er bastelte aus den Buchstaben «Bamberg» eine Notenabfolge, die deutsche Notennamen und italienische Solmisationssilben vereint: B – A – Mi – B – E – Re – G. Benannt hat Deutsch das Orchesterfeuerwerk aber nicht nach der Stadt, sondern nach dem zugrundliegenden Vorwärtsdrang: «Con moto», also «Mit Bewegung» ist eines der seltenen Musikstücke, bei dem Werktitel und Vortragsanweisung vollkommen übereinstimmen. Sollten Sie sich beim genauen Zuhören auch an das eine oder andere berühmte Werke des 20. Jahrhunderts erinnert fühlen, so liegen Sie damit richtig. Die Uraufführung mit den Bamberger Symphonikern dirigierte Kevin Fitzgerald am 15. Juli 2023 in Bamberg, in Grafenegg erlebt das Publikum die österreichische Erstaufführung. Bernd Richard Deutsch wird beim Konzert in Grafenegg anwesend sein und gemeinsam mit Ute van der Sanden, der Dramaturgin des Tonkünstler-Orchesters, bei der Einführung im Auditorium um 17.30 Uhr weitere und vertiefende Einblicke in sein Werk geben. Falls Sie schon neugierig sind, wie das klingt, gibt es die Ersteinspielung vom August 2023 mit Misha Shekhtman am Pult des Festivalorchestra zum Kennenlernen: 

Fabien Gabel hat über «Con moto» gesagt: Es bringt auf den Punkt, «was und wer ich bin als Dirigent. Ich schaue gern nach vorn, mit Neugier und Begeisterung.» Mit genau dieser «Neugier und Begeisterung» starten Gabel und das Tonkünstler-Orchester in ihre erste gemeinsame Spielzeit. Fabien Gabel stand in Grafenegg zuletzt beim Eröffnungskonzert des Grafenegg Festival 2025 auf der Bühne des Wolkenturms. Sein klarer, eleganter und stets pointierter Dirigierstil begeistert nicht nur das Publikum, sondern vor allem auch die Musiker:innen im Orchester, die ihrem Chefdirigenten schon jetzt jeden Wunsch von den Augen und Händen ablesen. 

Ansichten aus der Luft

«Aerial» von HK Gruber

Fabien Gabel war vor vielen Jahren selbst als Trompeter Orchestermusiker in Paris: eine Schule, die gleichzeitig die Kunst des Orchesters von innen und damit das genau Zuhören lehrt, aber auch den großen Respekt vor den Musiker:innen zu einer Selbstverständlichkeit macht. Seine Trompete hat Fabien Gabel gut verstaut in einem Instrumentenkasten, die Karriere als aktiver Blechbläser ruht. Aber wie das schon so ist: Die enge Beziehung zum eigenen Instrument bleibt ein Leben lang erhalten, und so mag der zweite Programmpunkt am 4. Oktober in Grafenegg nicht überraschen: Es handelt sich um ein Trompetenkonzert, und zwar eines, das Fabien Gabel mit dem Widmungsträger und Uraufführungstrompeter Håkan Hardenberger bereits mehrmals aufgeführt hat. Das Konzert entstand als Auftrag der BBC in den Jahren 1998/99, trägt den Titel «Aerial» und stammt vom österreichischen Komponisten, Dirigenten und Chansonnier HK Gruber, der 2011 Composer in Residence in Grafenegg war. 

 

Es geht in «Aerial», grob gesagt, um Ansichten aus der Luft, daher auch der aus dem Englischen abgeleitete Titel. Der Trompeter wird darin enorm gefordert, er muss verschiedene Instrumente spielen – etwa eine Pikkolotrompete und ein Stierhorn, aber auch gleichzeitig singen und spielen. Das ist für das Publikum ungefähr genauso aufregend und mitreißend wie für den Trompeter. «Done with the Compass – Done with the Chart!» (Schluss mit dem Kompass, Schluss mit der Karte) ist der erste der beiden Sätze betitelt, der vor dem geistigen Auge eine vom Nordlicht beleuchtete imaginäre Landschaft hervorruft. Es ist ein Blick in eine uralte Zeit, in die Mythologie, wobei der Titel auf ein Gedicht der amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson zurückgeht. Im zweiten Satz wechselt die Perspektive von der irrealen Gegend auf einst reale Tanzlegenden der 1930er-Jahre: «Gone Dancing», das auch so manch jazzige Sounds bietet. Ein großes, gleichzeitig kurzweiliges, bunt-schillerndes Trompetenkonzert. Auch hier gibt es dank moderner Technologie die Möglichkeit, einen Eindruck von der Musik zu gewinnen, in einem Mitschnitt des Konzerts mit Håkan Hardenberger mit dem Orquesta Sinfónica de Castilla y León unter der Leitung von Fabien Gabel:

Håkan Hardenberger wird am 4. Oktober ab 17.30 Uhr beim Einführungsgespräch mit Ute van der Sanden im Auditorium zu Gast sein. Im Oktober 2020 spielte er «Aerial» zuletzt in Grafenegg, damals mit dem European Union Youth Orchestra unter der Leitung von Marin Alsop, und gab in einem kurzen Video persönliche Einblicke:

Von Kämpfen und Friedenswerken

Richard Strauss zählt zu den erklärten Lieblingskomponisten Fabien Gabels. Daher überrascht es kaum, dass er die Saisoneröffnung seiner ersten Spielzeit mit einer der großen Tondichtungen des berühmten Bayern beschließt. Die vielfältige Musiksprache des Fin de siècle, also Musik, die in den Jahren um 1900 entstanden ist, bildet einen Schwerpunkt der kommenden Spielzeit. Das ist auch die Epoche von Richard Strauss, der in seinen Orchesterstücken gerne außergewöhnliche Charaktere porträtierte – seien es Don Juan, Till Eulenspiegel oder Macbeth. Im «Heldenleben» errichtete er allen schöpferisch tätigen Menschen ein prachtvolles symphonisches Denkmal, das gleichzeitig auch als ein verschmitzt-lächelndes Selbstporträt gehört werden darf.

Am 3. März 1899 brachte Strauss das dem Dirigenten Willem Mengelberg und dem Concertgebouworchester Amsterdam gewidmete «Heldenleben» in Frankfurt zur Uraufführung. Ursprünglich waren den einzelnen Teilen der großen Tondichtung Zwischenüberschriften zum besseren Verständnis vorangestellt, die Strauss jedoch später streichen ließ. Die sechs programmatischen Hinweise haben sich trotzdem bis heute als idealer Leitfaden durch das Werk etabliert. 

Die Eröffnung der Tondichtung präsentiert den «Helden». Durch eine klare Zäsur davon abgetrennt schleichen sich meckernd «Des Helden Widersacher» hinein. An die Seite des Helden gesellt sich dann in Gestalt der Solovioline, hoch erhobenen Hauptes «Des Helden Gefährtin» – wer möchte da nicht an Strauss’ Gattin Pauline denken? Diese Gefährtin will allerdings erst umschmeichelt werden, und irgendwann vereint sich der Held mit seiner Gefährtin in schönster Zweisamkeit. Doch es bleibt nicht so friedlich: Fanfaren der Ferntrompeten künden von nahenden Kämpfen: «Des Helden Walstatt» betreten Held und Gefährtin gemeinsam. 

Der Held geht schließlich gestärkt aus den Kämpfen hervor – neuerlichen Angriffen begegnet er gewappnet mit «Des Helden Friedenswerken», für die Strauss Themen seiner bisherigen Werke mit denen des «Heldenlebens» vereint hat: «Don Juan», «Till Eulenspiegel», «Tod und Verklärung», «Macbeth», «Also sprach Zarathustra», «Guntram», sogar das herrliche Lied «Traum durch die Dämmerung» blitzt auf. Doch die leere Quint ertönt erneut, der Held zerreißt sein Thema wütend in der Luft: Eingeleitet von wiegenden Figuren des Englischhorns beginnt «Des Helden Weltflucht und Vollendung». In diese friedliche Stimmung mischen sich ein letztes Mal die Widersacher, als nagende Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit. Die Solovioline der Gefährtin verhilft dem Helden, seine Ruhe zu finden: Sie stimmt ein in den elegischen, erfüllten Abgesang, mit dem das erste Konzert der Jahreszeitenklänge 25/26 friedvoll ausklingt. 

    Fabien Gabel
    Samstags-Abonnement Jahreszeitenklänge
    04/10/2025 Sa
    18.30 Uhr

    Heldenleben

    Tonkünstler-Orchester Niederösterreich · Håkan Hardenberger · Fabien Gabel

    DEUTSCH / HK GRUBER / STRAUSS

    Grafenegg Auditorium Auditorium
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    57 | 50 | 46 | 37 | 30 | 10
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