«Meet the artist» Håkan Hardenberger
Künstler:innenportraitVeröffentlicht: 30/09/2025
Am 4. Oktober 2025 wird die neue Saison der Jahreszeitenklänge in Grafenegg eröffnet – und mit ihm betritt ein Ausnahmekünstler die Bühne: Håkan Hardenberger, international gefeierter Trompetenvirtuose, wird HK Grubers spektakuläres Konzert «Aerial» zum Klingen bringen. Im Interview spricht er über seine Verbindung zu diesem Werk, die besondere Rolle der Trompete und die Vorfreude auf seinen Auftritt in Grafenegg.
«Musik ist fantastisch, man kann sie auf so vielen verschiedenen Ebenen genießen, man kann dazu tanzen oder sie im Hintergrund hören. Es kann natürlich Unterhaltung sein. Aber wir müssen daran glauben, dass sie auch eine tiefere Bedeutung hat, sie eine Herausforderung ist und eine großartige Kunstform.»
Sie haben HK Grubers Aerial 1999 in London uraufgeführt.
Können Sie sich noch erinnern, wie das Konzert entstanden ist, wie sehr Sie damals involviert waren in den Kompositionsprozess?Die Entstehung eines neuen Werks für Soloinstrument und Orchester verläuft immer sehr unterschiedlich. Manche Komponist:innen wünschen eine enge Zusammenarbeit und möchten alles über das Instrument wissen, andere weniger. Nali gehört zu den ganz besonders wissbegierigen Komponisten, und ich habe auch keine Angst gehabt, ihm sämtliche Kniffe des Instruments zu verraten, weil ich wusste, es entsteht etwas sehr Poetisches daraus, ohne leere Effekte. Wir haben uns damals in Wien getroffen. Und er wollte wissen, ob man auf der Trompete Multiphonics machen könnte, also mehr als einen Ton auf einmal spielen. Ich habe gesagt: «Nein, es geht nicht.» Und dann sagte er: «Jetzt zeig mir doch, dass es nicht geht.» (lacht) Und dann hat er vorgeschlagen, dass ich den tiefsten Ton des Instruments spielen und dazu im Falsett singen soll. Und dann war plötzlich ein dreitöniger Akkord da, und ich habe gesagt: «Ach ja.» Und natürlich fängt das Konzert so an, sehr risikoreich.
Es kamen noch viele weitere technische Details dazu, die er alle unglaublich poetisch einsetzt, inklusive Kuhhorn, eine Art «Urtrompete», die er eingearbeitet hat, und viele weitere Einflüsse. Es war dann so viel, dass ich ihm gesagt habe: «Das bringst du aber nicht alles in einem Konzert unter!» Und dann, später, als ich die Partitur bekommen habe, war alles drin, aber ganz filtriert natürlich bei ihm, fantastisch! Und das liebe ich so, wie er es geschafft hat, in «Aerial» ein großes Bild des 20. Jahrhunderts in Musik zu setzen. Es gibt Wagner, Alban Berg, es gibt Fred Astaire und Leonard Bernstein, die Beatles … alles ist da. Ein Kritiker hat nach der Uraufführung bei den BBC Proms über den zweiten Satz geschrieben, er sei eine «Ballroom Hallucination». Das finde ich schön.
Das Publikum in Grafenegg kann sich also freuen darauf …
«Aerial» ist ein Meisterwerk. Jetzt hat es ein gewisses Alter, und ich habe es mittlerweile … an die 100 Mal gespielt. Es ist einerseits ein «Blick von oben», ein «Aerial view», aber die Musik selbst entsteht ja auch aus und in der Luft.
Im ersten Satz nimmt er mir ja alle meine Möglichkeiten weg. Erst muss ich singen und spielen, und man hat irgendwie nur einzelne Töne, und dann Glissandi, und dann kommen diese Echotöne. Das Instrument ist eigentlich kaputt gemacht. Und dann das Kuhhorn. Die Piccolotrompete bewegt sich hoch und zu schnell. Und dann, endlich am Ende des ersten Satzes, darf ich das ganze Instrument spielen. Das ist sehr, sehr wienerisch, wie eine imaginäre Mahler-Symphonie, sehr poetisch. Und dann kommt der zweite Satz: «Done with the Compass – Done with the Chart!», also nur noch mit Gefühl.
Sie spielen «Aerial» schon 26 Jahre lang. Sie haben auch sonst viel Musik uraufgeführt, so viel Neues gespielt und tun es immer noch.
Hat sich der Zugang zum Instrument für Sie verändert im Lauf der zweieinhalb Jahrzehnte?Eigentlich nicht. Also dieses Stück bleibt eine sehr, sehr, sehr große Herausforderung. Das ist sicher. Ich war damals schon gut etabliert als Trompeter, und jetzt bin ich noch sehr viel älter. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, als ich «Aerial» wieder neu studiert habe, dass mir die Beschäftigung mit etwa dem längeren und rein physisch noch anstrengenderen Konzert «Towards Paradise» von Jörg Widmann neue Perspektiven erschlossen hat. Dort habe ich Dinge gelernt, die mir bei «Aerial» helfen. Das ist natürlich wundervoll. Ich fühle mich fast wie der alte Pablo Casals mit 90, der gefragt wurde, warum er noch so viel übt, und er hat gesagt: «I make progress!» (lacht)
Das Üben und Studieren hört nie auf, oder?
Ja, die Stunden werden nicht weniger. Es war und ist mein Glück, dass ich das Üben immer geliebt habe und immer noch liebe. Auf der Bühne zu stehen, das ist eine Sache. Üben und studieren ist etwas ganz anderes. Das soll man auch nicht mischen, auf der Bühne nicht üben und zu Hause keinen Auftritt spielen. Dann kann man beides genießen und lieben. Man lernt Dinge, manche Sachen werden einfacher, und andere werden sogar ein bisschen schwieriger.
Sie waren vor einigen Jahren gemeinsam mit Colin Currie künstlerischer Kurator und Leiter der Grafenegg Academy.
Haben Sie daran besondere Erinnerungen?Ja, ich habe das geliebt. Es war durch die Pandemie etwas getrübt, das war natürlich schade und schwierig, ein Momentum aufzubauen. Die Idee wird hoffentlich weiterverfolgt und ausgebaut, so nach dem Vorbild von Tanglewood.
Sie haben ja auch jung angefangen und hatten wahrscheinlich Menschen, die Sie gefördert haben oder die Ihnen geholfen haben.
Was möchten Sie jungen Musiker:innen als Rat mitgeben, die heute eine professionelle Laufbahn anstreben? Ist es schwieriger geworden als früher?Also ich glaube, dass es schwieriger geworden ist, weil die Wahl so unheimlich groß ist. In Österreich ist die Musik immer noch sehr wichtig. Aber Musik muss auch ein lebender Kosmos bleiben und nicht nur museal. Das ist sehr wichtig. Aber ich glaube, der Rat wäre, es wirklich in sich selbst zu suchen und sich zu fragen: Warum mache ich Musik, und wofür? Und dann, wenn man das ganz klar für sich geklärt hat, für dieses Ideal zu leben und dabei zu bleiben, obwohl es manchmal ganz, ganz schwierig ist. Ich zum Beispiel musste mir erst ein neues Repertoire bauen, wenn ich nicht mein ganzes Leben nur die paar Trompetenkonzerte von Hummel, Haydn etc. spielen wollte. So großartig sie sind! Das wäre eine Tragödie. Mit 55 war ich der erste Trompeten-Solist außerhalb des Orchesters, den die Berliner Philharmoniker in ihrer Geschichte engagiert hatten. Ich habe damals «Aerial» gespielt, nicht Hummel oder so, das wäre unmöglich für mich gewesen. Das ist nur ein Beispiel, dass man, wenn man kann, seine Ideale hochhalten muss, obwohl es manchmal schwierig ist.
Sie haben früh in ihrem Musikerleben schon Platten und CDs eingespielt, der Musikmarkt hat sich seither sehr gewandelt.
Was wünschen Sie sich persönlich eigentlich für die Zukunft dieses klassischen Musikbusiness? Was wäre Ihr Traum? Wie soll das ausschauen in der Zukunft?Ich wünsche mir, dass Musik eine echte Kunstform bleibt und nicht zu weit in die reine Unterhaltung geht. Musik ist fantastisch, man kann sie auf so vielen verschiedenen Ebenen genießen, man kann dazu tanzen oder sie im Hintergrund hören. Es kann natürlich Unterhaltung sein. Aber wir müssen daran glauben, dass sie auch eine tiefere Bedeutung hat, sie eine Herausforderung ist und eine großartige Kunstform. Dafür müssen wir sorgen. Und das gilt für mich und alle meine Kolleg:innen, für die Orchester und die Veranstalter. Wir alle müssen an die Kraft der Musik glauben.