«Am Ende tanzen die Leute immer»
Interview mit «Jazzrausch Bigband»-Gründer Roman SladekVeröffentlicht: 22/04/2025
Die Jazzrausch Bigband bespielt am 19. Juli den Wolkenturm mit ihren unverkennbaren Beats. Gründer Roman Sladek im Gespräch über ein Erfolgsprojekt zwischen Techno und Jazz, über die eigene Musiksozialisation – und wie man Menschen glücklich macht.
Verwechslungsgefahr muss dieser Klangkörper nicht befürchten: Mit der Jazzrausch Bigband hat der deutsche Posaunist Roman Sladek vor elf Jahren ein einzigartiges Ensemble ins Leben gerufen. Das Kollektiv verschmilzt Techno-Beats mit anspruchsvollen Bläser-Arrangements und versteht es dadurch ebenso sehr, Jazzfans zu beeindrucken wie ein jugendliches Publikum auf die Tanzfläche zu locken. Nicht von Ungefähr ist es der Formation 2015 gelungen, im hippen Münchner Club Harry Klein zur Hausband zu avancieren. Mit raffinierten Hommagen an Klassik-Komponisten, allesamt aus der Feder von Band-Komponist Leonhard Kuhn, gelang es dem Ensemble aber auch zunehmend, sich einen Weg in renommierte Konzertsäle zu bahnen. Nach der Schließung des Harry Klein hat die Bigband zuletzt im Bergson Kunstkraftwerk eine neue Heimat gefunden: Das Münchner Kulturzentrum, erst seit dem Jahr 2024 aktiv, beherbergt Konzerte und Ausstellungen und buhlt um ein Publikum jenseits aller Alters- und Genregrenzen. Mitte Juli gastiert die Jazzrausch Bigband nun bei den Sommerklängen in Grafenegg mit ihrem Programm «Bangers Only!». Ein Gespräch vorab mit Bandleiter Roman Sladek.
«Am Ende tanzen die Leute immer»
Stimmt es, dass Ihre erste Liebe der Heavy-Metal-Musik galt? Wie kamen Sie von dort zum Jazz?
Roman Sladek: Ich wurde in beiden Genres parallel sozialisiert. Mein Vater hat Rockmusik gehört und Gitarre gespielt. Er hatte zugleich aber auch einen Hang zum Akademischen und Spaß daran, sich mit Jazz musiktheoretisch herauszufordern. Beides hat auf mich abgestrahlt. Im Zuge meines Teenagerdaseins habe ich mich in die Black-Metal-Szene hineingelebt, dann aber irgendwann begonnen, meine Metal-Gruppen in Bluesrockbands umzubauen. Ich habe dann auch versucht, Kollegen in die Bigband meines Gymnasiums mitzuziehen. Die war eine Möglichkeit, die eigene Musikalität an der Schule auszuleben. Meine Leidenschaft für harten Rock war dagegen nur schwer in den Schulalltag einzubringen, weil es am musischen Gymnasium der Benediktiner Niederaltaich keine Metalband gab (lacht).
Mögen Sie heute noch Metal?
Wenn ich Laufen gehe, höre ich weiterhin Metal. Oder auch Techno. Wenn ich allerdings in meiner Rolle als künstlerischer Leiter des Bergson Kunstkraftwerks Programme veranstalte, geht es eher um klassische Kammermusik und Jazz.
Jazz gilt heute eher als Musik für ältere Menschen. Woran könnte das liegen?
Sicher auch an sozialen Blasen, an der «Verbubbelung» der Gesellschaft. Die Leute mischen sich nicht so gerne, das merke ich auch auf den 20.000 Quadratmetern im Bergson. Da kann ich veranstalten, was ich will: Junge Menschen sind nicht so gerne dort, wo auch ältere sind. Die turnt das ab. Sobald eine Nische im Kulturbereich von einer bestimmten Gruppe belegt ist, tendieren andere Menschen dazu – falls sie nicht enorm motiviert sind – diese Nische zu meiden. Sie denken sich: «Das hören schon diese und jene Menschen, darum ist es wohl nichts für mich.» Das ist der eine, der gesellschaftliche Aspekt bei diesem Thema. Der andere …
… hat vielleicht damit zu tun, dass dem Jazz nach dem Zweiten Weltkrieg schleichend die Verbindung zur Popmusik abhandenkam?
Sicher auch. Die Akademisierung und Vergeistigung dieser Musikrichtung ist natürlich ein Faktor. Je komplexer eine Musik wird, desto mehr Gedanken muss ich mir über ihre Präsentation machen. Außerdem: Je komplexer die Musik, desto nerdiger ihre Interpreten, desto schlechter sind diese Leute darin, ihre Musik zu vermitteln – das ist ein bisschen ein Teufelskreis.
Wie gelingt es trotzdem?
Ich beschäftige mich mit dieser Frage schon mein ganzes musikalisches Leben. Als die Jazzrausch Bigband ihr erstes Konzert gab, sind wir ganz bewusst in einem Münchner Club namens Rausch und Töchter aufgetreten. Ich wollte mit der Bigband in einen Nachtclub, weil ein solches Setting den jungen Leuten vertraut ist. Dann lassen sie sich, dachte ich, vielleicht auf etwas Unvertrautes ein. Ich glaube nicht, dass es allein an der Musik liegt, ob jemand ein Konzert besucht, sondern auch an der Location.
«Techno ist, was früher einmal Swing war»
Und Sie hatten damit Erfolg. Dazu hat aber wohl auch der Umstand beigetragen, dass die Jazzrausch Bigband seit jeher Stilelemente des Techno in ihr Spiel miteinbezieht.
Genau. Dafür sind wir als fortschrittlich gelobt worden – obwohl es meiner Meinung nach eigentlich nicht so innovativ ist. Wenn wir in einem Club mit Techno-Musik auftreten, tun wir im Prinzip das gleiche wie früher die Bigbands in den Ballrooms: Wir spielen Tanzmusik in einem Tanzlokal. Techno ist, was früher einmal Swing war.
Gesellschaftlich betrachtet. Aber musikalisch geht die Jazzrausch Bigband neue Wege: Sie spielt Techno mit akustischen Instrumenten, mixt heutige Tanzmusik mit Jazz.
Jazz ist eine Umgangsweise mit Freiheit, das ist das Großartige an ihm: Das darf ich, das darf ich, und das darf ich auch! Und: Ich kann im Jazz verschiedene Elemente mischen, ohne bei einem schlechten Kompromiss zu landen. Zur Musik der Jazzrausch Bigband kann man im Club tanzen und stampfen, man kann aber auch die Partitur querlesen und sagen: «Hey, da steckt ja richtig was drin.» Diese Gleichzeitigkeit fasziniert mich, und sie bietet sich gerade bei Technojazz an: Du schaffst über den Rhythmus eine tanzbare Zugänglichkeit, zu der sich eine Komplexität hinzugesellen kann, ohne dass die abtörnt.
Was also nicht fehlen darf, ist die Tanzbarkeit?
Ja – wobei dahinter noch etwas anderes steht: die Lebensfreude. Der Besuch eines Konzertsaals kann sehr schambehaftet sein, die Rituale in diesen Räumen setzen Wissen voraus. Fehlen jemandem im Saal diese Kenntnisse, kann er oder sie sich schnell unwohl fühlen. Wenn es einem aber gut geht, gewinnt Glück gegen Scham. Die Menschen sind dann glücklich, wenn sie sehen, dass auch die Leute rundum happy sind und auch jene auf der Bühne.
Wie macht man eine Jazz-Band glücklich?
Nicht nur mit Geld, nicht nur mit musikalischem Anspruch und nicht nur mit viel Publikum. Es muss alles gleichzeitig stattfinden, dann fangen die Musiker:innen an zu leuchten. Das spürt das Publikum und tut es ebenfalls. Ich finde es großartig, wenn das passiert. Man fühlt sich wohl und schämt sich nicht bei einem Konzert der Jazzrausch Bigband.
Wird auf Ihren Konzerten immer getanzt?
Wenn wir in diesem Dezember zur Abwechslung einmal mit geradlinigem Bigband-Swing auftreten, wird das Publikum wohl ausnahmsweise sitzen und eine gute Zeit haben. Ansonsten tanzen die Leute mit. Bei unseren Programmen besteht immer diese Verbindung zwischen Techno und Jazz – auch, wenn wir Musik von Gustav Mahler zitieren, Beethoven bearbeiten, Goethes «Faust» Tribut zollen oder eigene Musik zum Thema Emergenz schaffen. Unser Publikum hat selbst in der Hamburger Elbphilharmonie getanzt – es war genauso, wie wenn wir in einem Club gastieren.
In Grafenegg – wo Sie schon 2022 aufgetreten sind – bleiben die Leute also auch nicht auf ihren Sesseln kleben?
Richtig. Jeder Veranstalter sagt uns, er hätte ein etwas «spezielles» Publikum. Aber alle Menschen sind speziell auf dieser Erde. Manchmal dauert es drei, manchmal vier Stücke, aber am Ende tanzen die Leute immer.
«Wenn die Leute Count Basie hören, haut es ihnen den Vogel raus»
Die Jazzrausch Bigband machte sich einen Namen, nachdem sie im Technoclub Harry Klein zur Hausband aufgestiegen war. Haben Sie sich vor dem Debüt dort gedacht: Was, wenn die Techno-Fans uns alle auspfeifen?
Ja, das habe ich mir schon gedacht. Aber wir wollten an einem Ort auftreten, wo man unsere technoide Musik auf Herz und Nieren prüfen würde. Das war eine Herausforderung, hat uns aber auch sehr geholfen. Wenn du so eine Musik in einem Technoclub spielst, muss sie einfach funktionieren.
Sie haben alle vier Wochen im Harry Klein gespielt, bevor der Club im Jahr 2023 schloss. Haben Sie dort auch Ihre Hommagen an Klassik-Komponisten zur Aufführung gebracht?
Ja, die haben wir hineingemischt. Im Harry Klein hat sich für uns recht schnell eine Zielgruppe formiert, die Techno gemeinsam mit Jazz spannend fand. Das führte dazu, dass unsere Termine mit der Zeit immer früher ausverkauft waren. Man musste die Tickets dann schon im Vorverkauf erwerben – eigentlich der absolute Abtörner für ein Club-Publikum Anfang 20.
Wie jung oder alt ist Ihr Publikum?
Im Vergleich mit einer Rundfunk-Bigband haben wir ein jüngeres Publikum. Ein Phänomen für die Zielgruppe 20 bis 40 sind wir aber nicht. Ich würde eher sagen, es sind Menschen zwischen 25 bis 80 Jahren mit Fokus um die 50 herum.
Haben Sie diesbezüglich Vorbilder, die Ihr Herz höherschlagen lassen? Die gefinkelten Arrangements des Thad Jones/Mel Lewis-Orchestra, die impressionistischen Arbeiten von Gil Evans?
Ich bewundere fast niemanden als Idol. Allerdings: Eine Musik, bei der ich vor Begeisterung anfangen muss herumzuschreien, ist die von Count Basie. Sie mag zwar eher trivial sein. Aber der Sound dieser Bigband scheint mir so schwer zu erreichen! Diese Qualität kam nicht von ungefähr, dahinter steckten Stress, Existenzängste und unfassbar viel gemeinsames Spielen. Die Nummern von Thad Jones und Mel Lewis begeistern in erster Linie die Musiker, für das Publikum sind diese Stücke komplex. Aber wenn die Leute Count Basie hören, dann haut’s ihnen den Vogel raus! Es ist eigentlich eine einfache Musik, aber keine, die jeder so einfach spielen könnte.
Basies Orchester, eines der besten der goldenen Swing-Ära, besaß einen enormen «Punch» und die allerhöchste Präzision, das Zusammenspiel war mit der Akkuratesse eines Uhrwerks vergleichbar.
Genau. Wobei: Mich interessieren Bigbands nicht nur musikalisch, sondern auch in sozialer Hinsicht, als große Band. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass es so stark besetzte Ensembles gibt. Auf der einen Seite kommt es in der gemeinsamen Arbeit zu Situationen, in denen eine Person allein eine Entscheidung treffen muss. Es entstehen andererseits aber auch Herausforderungen, die man nur kollektiv lösen kann. In der Jazzrausch Bigband gibt es ausladende Solos, die unterstreichen, dass es in unserer Musik auch stark um Einzelpersönlichkeiten geht. Wir haben ein eigenes Impro-Podest, um das Wechselspiel zwischen kollektiver und individueller Leistung für das Publikum sichtbar zu machen.
«Können kommt oft von Müssen»
Bigbands sind für Veranstalter deutlich teurer als herkömmliche Jazz-Gruppen. Ist das ein Nachteil, wenn man auf Tourneen gehen will?
Nein. Diese Tatsache kann einem sogar wahnsinnig helfen, denn sie zwingt einen zum finanziellen Erfolg. Können kommt oft von Müssen. Als Bigband-Leiter musst du dir vor einer Tour überlegen: Wie kann man Prozesse optimieren, mit Ressourcen schonend umgehen und genug Attraktionen in einem Programm vereinen, um tausende Menschen anzulocken? Im März haben wir zwölf Konzerte im Bergson Kunstkraftwerk gespielt, alle waren ausverkauft.
In Grafenegg gastieren Sie mit dem Programm «Bangers Only!». Das gleichnamige Album haben Sie im Vorjahr veröffentlicht, es versammelt gewissermaßen die Greatest Hits der Band. Was erwartet das Publikum live?
Nach zehn Jahren Bigband haben wir mit «Bangers Only!» quasi ein Best-of-Album herausgebracht – jedenfalls zu 50 Prozent. Die eine Hälfte des Albums blickt auf jene Stücke zurück, die beim Publikum die stärkste Reaktion hervorrufen haben, die andere will neue Kracher, «Bangers», vorstellen. Wobei ich zu unseren Alben sagen muss: Wir sind nicht so sehr «recording artists», sondern viel eher eine Live-Band. Studioproduktionen liefern nur ein wässriges Abbild davon, was wir auf einer Konzertbühne leisten. Das Album «Bangers Only!» (Act Music) ist dennoch der wohl beste Versuch bisher, unsere Energie auf einem Album rüberzubringen. Wenn wir mit dem Programm live auftreten, reichern wir es zusätzlich um Mahler- und Beethoven-Adaptionen an oder auch um Musik aus unserer Goethe-Hommage. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, sich die Jazzrausch Bigband anzuhören – und wie vorhin gesagt: Mit sieben oder acht spricht man deutlich mehr Leute an als mit einem.
Jazzrausch
Jazzrausch Bigband
«Bangers Only!»